Anthropomorphismus in der Informatik

Kerstin Kuba-Nimmrichter - Sa., 16.09.2023 - 17:27

Der Name meines Staubsaugerroboters ist mit "Robi" nicht besonders originell. Andere Roboterbesitzer:innen haben da mehr Phantasie. In einer eigens gegründeten Facebookgruppe wurden Saugroboternamen abgefragt. Zu den topgenannten zählen "Frau Müller", "Egon der Sauger" oder  "Schlucki".

Auch Ihr Haushaltgerät hat einen Namen? Das spricht für ein gutes Verhältnis, aber wider jede Vernunft. Es wird nicht kommen, wenn Sie es rufen. Warum geben wir unseren Maschinen also Namen? Warum schimpfen oder loben wir Haushaltsgeräte?

Dahinter steckt ein Phänomen, das uns aus der Literatur, der Philosophie und der Psychologie bekannt ist. Es heißt Anthropomorphismus und beschreibt die Zuweisung menschlicher Merkmale oder Qualitäten an etwas, das nicht menschlich ist. Es gibt den Anthropomorphismus auch in Fabeln, wo Tiere sprechen können oder in der griechischen Mythologie bei Göttern mit durchaus menschlichen Schwächen und Qualitäten. Anthropomorphismus haben wir in der Literatur unkritisch hingenommen. Das Phänomen ist also nicht neu.

Die stetige Weiterentwicklung der Informatik und die Alltäglichkeit von Künstlicher Intelligenz wirft nun aber auch philosophische Fragen auf und lassen die Grenze zwischen Mensch und Maschine verschwimmen. Je ähnlicher die Maschinen uns Menschen auch optisch sind, desto unheimlicher wirkt das auch.

Intelligente Pflegeroboter werden dabei zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Hier ist eine ansprechende Kommunikation und der Aufbau einer emotionalen Bindung durchaus positiv zu betrachten. Ein menschenähnliches Erscheinungsbild schafft zusätzlich Vertrauen. Mit unterschiedlichen Sensoren ausgestattet kann hier der Roboter seine (Mess-)Qualitäten ausspielen. 

Der Pflegeroboter Grace von Hanson Robotics ist eine künstliche Krankenschwester, eine Maschine mit Mehrwert. Vorgestellt wird sie in diesem Video von ihrer Schwester Sophia. 

Vielleicht ist es Ihnen schon aufgefallen. Ich schreibe von "ihrer Schwester"  und gebe "ihr" mit "sie" auch eine eindeutige Geschlechterrolle. Gerne würde ich sie auch als Roboterin bezeichnen .. ebenso ein klarer Fall von Anthropomorphismus. Allerdings zeigen die humanoiden Roboter ja tatsächlich fast menschliche Züge. Es ist somit umso schwerer, diese neue Kategorie zu benennen. Immerhin ist es erstmalig in der Geschichte der Menschheit so, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, wen man vor sich hat.

Im empfehlenswerten Roman Klara und die Sonne spielt der Autor Kazuo Ishiguro, Literaturnobelpreisträger, mit genau diesem Phänomen. Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen. Als Leser:in zweifelt man mitunter mehr am Mensch als an der Maschine.

Der KI-Antropomorphismus scheint die Interaktion von Mensch und Maschine grundsätzlich zu erleichtern. Allerdings ist die Zuschreibung von menschlichen Qualitäten (etwa die Unterscheidung von gut und böse) irreführend. Das könnte zu einer Überschätzung der Künstlichen Intelligenz führen. 

Auch bei den Prompts bin ich versucht wie in einem menschlichen Gespräch "bitte" und "danke" zu sagen. Dies ist nicht notwendig. Sie merken es: ich kämpfe mit mir. Ich kämpfe und tappe doch wieder in die Anthropomorphismus-Falle.

Doch so lange wir darüber nachdenken, ist dies kein Problem. Die Macht liegt mit Sicherheit nicht bei der Maschine. Sie liegt in der Hand des Anwenders.

 

 

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