Selbstorganisiertes Lernen: Bildung neu denken

Selbstorganisiertes Lernen: Die Bildung von Morgen gestalten
Die Bildungslandschaft wandelt sich. Um Lernende auf eine dynamische Welt vorzubereiten, sind Ansätze gefragt, die Unabhängigkeit, kritisches Denken und Anpassungsfähigkeit fördern. Selbstorganisiertes Lernen befähigt Lernende, Verantwortung für ihren Bildungsweg zu übernehmen. Für digital affine Lehrpersonen bietet dieser Ansatz eine zukunftsweisende Perspektive, da traditionelle Methoden oft nicht mehr ausreichen, um Potenziale voll zu entfalten.
Stefan Ruppaners Vision: Lernen neu denken
Stefan Ruppaner, ehemaliger Schulleiter der Alemannenschule Wutöschingen, hinterfragt den Status quo der Bildung. Sein Grundsatz: „Unterricht ist aller Übel Anfang“. Er kritisiert, dass im klassischen Unterricht vorbestimmt wird, was Kinder denken sollen, was dem Lernen nicht zuträglich sei. Stattdessen betont Ruppaner eigenständiges Denken und persönliche Entwicklung. Dies spiegelt ein tiefes Vertrauen in die Fähigkeit der Lernenden wider, ihre kognitiven Prozesse selbst zu steuern.
Hirnforscher Gerald Hüther, den Ruppaner zitiert, bestätigt: „Lernen geschieht nur durch Einladung, Ermutigung und Begeisterung, nicht durch Druck“. Die Lehrperson wird so zu einer inspirierenden Kraft, die Lernbedingungen schafft. In Zeiten digitaler Informationsflut wird die Rolle des Lehrers als Wissenshüter obsolet; der Wert liegt nun im Inspirieren und Begleiten des Lernprozesses.
Die Alemannenschule: Ein Modell der Selbstorganisation
Die Alemannenschule Wutöschingen hat Ruppaners Vision in ein innovatives Raum- und Lernkonzept überführt, das den starren Klassenraum aufbricht.
Zentrale Lernbereiche sind das „Lernatelier“ als persönlicher Arbeitsbereich und der „Marktplatz“ als kooperativer Co-Working-Bereich. „Input-Räume“ bieten freiwillige, kurze Lerneinheiten. Lernen findet auch außerhalb der Schule statt, etwa auf Bauernhöfen, in Wäldern oder im Rathaus. Seit der Corona-Pandemie sind auch die Häuser der Schüler offizielle Lernorte. Diese Vielfalt symbolisiert die Auflösung traditioneller Lernbarrieren.
Die Schule nutzt eine eigene Lernplattform und stattet alle Schüler mit iPads aus. Die Kombination physischer Räume mit digitalen Werkzeugen schafft ein umfassendes Lernökosystem. Technologie ist hier integraler Bestandteil einer flexiblen und selbstorganisierten Lernumgebung, die traditionelle Einschränkungen überwindet.
Lernpartner im Fokus: Rollen neu definieren
Die Lernenden werden als „Lernpartner:innen“ bezeichnet, was eine Begegnung „auf Augenhöhe“ fördert. Diese Umbenennung verschiebt die Machtdynamik hin zu einer Partnerschaft aus Respekt und geteilter Verantwortung. Ruppaner betont, dies koste nichts und „jede Schule könne das tun“.
Die Rolle der Lehrpersonen wandelt sich von Wissensvermittlern zu Managern von Expertise und Begleitern im Lernprozess. Mit Digitalisierung und KI wird diese begleitende Rolle noch wichtiger, etwa bei der Bewertung von Informationen aus KI-Anwendungen oder YouTube-Videos.
Weiters bietet die Schmetterlingspädagogik große Vorteile für Lernende mit Migrationshintergrund, die durch die Offenheit und vielfältigen Räume schneller Deutsch lernen würden. Dies unterstreicht, wie das selbstorganisierte Modell Integration und Spracherwerb durch natürliche Interaktion fördert.
Schmetterlingspädagogik: Die Philosophie dahinter
Die „Schmetterlingspädagogik“ ist das Herzstück des Ansatzes. Sie symbolisiert ein dynamisches Gleichgewicht aus Freiheit und Gemeinschaft, vereint in zwei Flügeln: selbstorganisiertes Lernen „zeit- und raumfrei“ und „Lernen durch Erfahrung“ in einer Gemeinschaft. Echtes selbstgesteuertes Lernen gedeiht in einem unterstützenden, kollaborativen Umfeld.
Dieser Ansatz basiert auf der Überzeugung, dass „Lernen nur durch Einladung, Ermutigung und Begeisterung geschieht, nicht durch Druck“. Dies verankert den pädagogischen Ansatz in einem wissenschaftlichen Verständnis des Lernens.
Ein Aufruf zur Veränderung: Die Revolution von unten
Stefan Ruppaners Weg vom Befürworter zum Reformer ist bemerkenswert. Er ist überzeugt, dass Veränderung Engagement, Überzeugung und eine Bewegung von unten erfordert. Seine Botschaft ist klar: „Unser Staat wird nichts ändern, weil ich nicht glaube, dass der Staat in diesem Bereich reformfähig ist. Wir brauchen die Revolution von unten, denn sie wird nicht von oben kommen“. Dies ist ein direkter Appell an die Handlungsfähigkeit einzelner Pädagogen.
Ruppaners Aufruf zur „Revolution von unten“ passt zu Innovationstrends, bei denen Basisbewegungen Veränderungen effektiver vorantreiben. Die Erkenntnisse der Alemannenschule zeigen einen gangbaren Weg zu zukunftsfähiger Bildung. Es ist eine Einladung an alle Lehrpersonen, diesen Paradigmenwechsel anzunehmen und selbst zu Akteuren dieser notwendigen Veränderung zu werden. Die Zukunft des Lernens liegt in der Selbstbestimmung und der gemeinschaftlichen Gestaltung.