Buchrezension: Allahs mächtige Influencer

Kerstin Kuba-Nimmrichter -

"Sie" gegen "uns", der "Westen" gegen die "Muslime". Das ist die spaltende Erzählung der Online Islamisten.

Nicht einmal zwei Stunden hat es laut den Autoren Stefan Kaltenbrunner und Clemens Neuhold gedauert, bis der von den beiden für TikTok erfundene Ahmed_7812, angebliche 17 Jahre alt, mit harter islamistischer und antisemitischer Propaganda konfrontiert war.

Das Smartphone und der TikTok Account waren schnell das Tor zu einer virtuellen Parallelwelt, die das Ziel hat Jugendliche zu radikalisieren und die Gesellschaft auseinander zu dividieren. 

Die Botschaften vermitteln dabei hippe Prediger, weibliche Hidschab-Influencerinnen und Dschihadisten-Rekrutierer. Der Algorithmus von TikTok tut das Seine dazu.

 

Algorithmus-Bewusstsein vermitteln

 

Ein Gaza-Video, das sich die Autoren angesehen und mit "Gefällt mir" markiert haben, führte schnell zu noch härteren Beiträgen: Bilder von weinenden, hungernden Babys, von Hinrichtungen oder zerbombten Kliniken inklusive. Die Welt, die gezeigt wird, ist schwarz-weiß, Grautöne gibt es keine. Es gibt die Bösen (oft "Zionisten" genannt) und die Guten, deren Ziel das Kalifat ist.

(Anmerkung und Forderung: Kinder und Jugendliche müssen ein KI- bzw. ein Algorithmus-Bewusstsein entwickeln, bevor sie Social Media nutzen!)

Häufig gibt es auch Links zu Telegram, wo noch härtere Propaganda gezeigt wird. Besonders angesprochen werden dabei Flüchtlinge oder auch hier geborene Migrant:innen, die in der realen Welt  wirtschaftlich und bildungstechnisch den Anschluss verloren haben.

(Anmerkung: In einer von Statussymbolen wie Sneakers oder Top-Handy geprägten Gesellschaft sind Jugendliche aus wirtschaftlich schwachen Familien wohl besonders anfällig.)

Die Methodik der Online-Salafisten funktioniert ohne Smartphone kaum. Besonders leicht zu begeistern sind sehr junge Jugendliche. Die angeführten Beispiele belegen dies: Beran A., der ein Massaker am Taylor Swift Konzert geplant haben soll, ist 16 Jahre alt. Eine 14jährige wurde im Herbst 2024 in Graz verurteilt, weil sie dem IS die Treue geschworen haben soll. In Wien plante ein ebenfalls 14jähriger einen Angriff auf den Westbahnhof.

 

Die Prediger und ihre Methodik

 

Einer der bekanntesten Prediger auf TikTok ist Abul Baraa, der mögliche Fragen des Lebens stets mit Bezug auf den Koran beantwortet. Er lässt kein Thema aus, das junge Menschen beschäftigt und predigt einen strengen, konservativen Islam. Baraa empfiehlt als Wohnort für gläubige Muslime übrigens Tower Hamlets, einen Londoner Stadtteil mit mehr als 50 Moscheen, Verhüllungspflicht und Scharia.

Auch Abu Hamza oder der mittlerweile geläuterte Marcel Krass gehören wie Abul Baraa zum TikTok-Salafismus und predigen gegen die sogenannten "Ungläubigen". Frauen in Jeans, Homosexualität oder gemischte Schulklassen gehen dabei gar nicht. Das Erfolgskonzept der Storylines? Kurze, knackige Antworten auf komplexe Fragen.

Die Finanzierung der digitalen Missionare erfolgt meist durch Vortragsreisen, Spendenaktionen oder Begleitung von Pilger-Fahrten. 

Zahlreiche weitere Online-Salafisten bestechen wie klassische Alpha-Männer optisch außerdem durch Luxuslimousinen, geschickt inszenierte Videos und hippes Auftreten. Die Frage im Vordergrund ist immer: Was ist erlaubt, also halal, oder haram, verboten.

 

Ultra-konservative Haltungen

 

Schnell wird beim Lesen des Buchs klar, dass Islam-Prediger sehr strenge Regeln vermitteln. Neben Verschleierungspflicht sind das beispielsweise Gebote, wem Muslime die Hand geben dürfen und wem nicht oder ob ein Muslim Musik hören darf. Strenges Fasten im Ramadan ist selbstverständlich.

Frauen haben im Salafismus klare Aufgaben wie Erziehung und Bildung oder Wohltätigkeit. Nicht im Gegensatz dazu stehen dabei die Hidschabistas. Sie zeigen westliches Konsumverhalten, vermitteln nebenbei jedoch auch religiöse Botschaften. Sie zeigen sich nicht als unterdrückte, sondern als selbstbestimmte und selbstbewusste Muslimas. Die Botschaft? Den Hidschab wie eine Krone tragen.

 

Zielgruppe

Kaltenbrunner und Neuhold zeigen außerdem den Einfluss des Tagesgeschehen. Denn strenge Sittenwächter leben von politischen Ereignissen. Die Ereignisse des 7. Oktober 2023 in Israel befeuerten Online-Salafisten zusätzlich.

Anfällig für die Botschaften sind nicht nur Flüchtlinge, die mit enttäuschten Hoffnungen in einem Flüchtlingsquartier landen.

Die Botschaft wird auch von konvertierten Influencern verbreitet. Das ehemalige deutsche Model Hanna Hansen ist eine solche Konvertitin, die den Islam als religiösen Anker bezeichnet. Sie erreicht wie zahlreiche weitere Influencerinnen auch Mädchen, die die Salafisten-Prediger als zu radikal empfinden. Weitere geläuterte Mädchen und Frauen zeigen ihr vergangenes, gottloses Leben und ihr gegenwärtiges Glück im Glauben. Diese Geschichten im eigentlich journalistischen Bericht geben dem Thema Lebendigkeit und Lesbarkeit.

 

 

Das große Versagen

Die Autoren schreiben in ihrem Buch auch über das breite Versagen, das TikTok-Islamismus erst möglich macht. Versagt haben nach ihrem Dafürhalten viele: die linke Politik, die rechte Politik, Europa als Institution, Behörden bzw. Verfassungsschutz und säkulare Muslime. Kaltenbrunner und Neuhold fordern deshalb einen 12-Punkte-Plan ein. Sie wünschen sich u.a. ein TikTok Verbot bis 14, Aufklärung im Unterricht (Anmerkung: ja, bitte!), eine von Muslimen errichtete Brandmauer gegen Islamismus und eine polizeiliche Überwachung von Messenger-Diensten. 

 

Persönliches Fazit

Sehr lesenswertes Buch! In klaren Worten wird ein Phänomen beschrieben, das unsere Gesellschaft fordert. Die Komplexität dieser Herausforderung könnte jedoch noch mehr betont werden, denn es ist nicht TikTok allein, das Radikalisierung ermöglicht. 

 

Bibliographie

Autoren:
Stefan Kaltenbrunner und Clemens Neuhold
Buchtitel:
Allahs mächtige Influencer
Erscheinungsort:
Wien
Erscheinungsjahr:
2025
Verlag:
edition a
Seitenzahl:
224
Preis in EUR:
25,70
ISBN: 3990017942
 
 
 

 

 

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